Die Heiltumsbücher

Reliquienmonstranz in St. Ursula in Köln
Reliquienmonstranz in St. Ursula in Köln, XIV Jahrh. 0,27 hoch.

Eine zutreffende Vorstellung von dem unendlichen Reichtum der Kunstformen, welche die Reliquien-Verehrung schuf, geben die »Heiltumsbücher« aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts, gedruckte Darstellungen der Reliquienschätze verschiedener Kirchen, für die Wallfahrer bestimmt. Das Buch von Halle (1520) berichtet von 8133 Partikeln und 42 ganzen Körpern von Heiligen. Künstlerisch am bedeutsamsten das gemalte Inventar des Schatzes von Mainz unter Kardinal Albrecht von Brandenburg, jetzt in der Bibliothek von Aschaffenburg. Für glänzende Unterbringung der Heiltümer wurden alle Kostbarkeiten aufgeboten, welche das Mittelalter besaß. In gesteigerte künstlerische Arbeit fügte man seltene Naturprodukte oder alte Kunstwerke ein, geschnittene antike Steine, persische Kristallgeräte und arabische Elfenbeinkästen, in denen die Reliquien aus dem Orient kamen, Straußeneier (in Halberstadt eines in romanischer und eines in gotischer Fassung, ebenso in Quedlinburg ein gotisches), Nautilusmuscheln, Hörner, geschliffene Gläser, sogenannte Hedwigsgläser u. v. m. Zu beachten ist auch, dass vielfach Profangeräte, Becher und ähnliches an Kirchen geschenkt und unbedenklich zu Reliquienbehältern benutzt wurden.

Neben den Reliquienfiguren schuf man frei gearbeitete Andachtsbilder. Der Dom zu Berlin besaß 1651 eine goldene Marienfigur, einen goldenen Christus und zwölf silberne Apostelfiguren, alle lebensgroß, von mittelalterlicher Arbeit. Von frühmittelalterlichen Figuren ist erhalten das Marienbild in Essen, halb-lebensgroß, Holz mit Goldblech überzogen.

Die Figur der Maria mit dem Christuskind im Lüneburger Schatz ist im 15. Jahrhundert entstanden. Die Kleidung der Figuren, ein Muster kräftigen Silberblech-Stiles, zum Teil vergoldet, aber auch an einzelnen Teilen (das grüne Futter) mit Lackfarben bemalt, völlig bemalt sind Gesicht, Hände und der Körper des Kindes, und zwar in Fleischfarben mit geröteten Lippen und Wangen in größtmöglicher Annäherung an die Natur; die Haare sind vergoldet. Auch bei den kleineren, zu Kreuzigungs-Gruppen gehörigen Figuren von Maria und Johannes finden wir ähnliche Bemalung.

Reliquiar in Gräfenrath
Reliquiar in Gräfenrath, Ende XV Jahrh.  0,17 hoch.

Die Marienfigur im Kaiser Friedrich-Museum ist künstlerisch noch vollendeter als die Lüneburger. Der viel reichere architektonisch gestaltete Sockel wird von knienden Engeln getragen, daran die Inschrift-Tafel: »1482 hat Meister Hainrich Hufnagel, Goldschmied von Augsburg, das Marienbild gemacht. «

In die kirchlichen Bildwerke fügen sich durch Vorführung der Stifter nicht selten weltliche Figuren ein: Das sogenannte »Goldene Rössel« von Alt Oetting in Bayern, ein Weihgeschenk Karls VI. von Frankreich, 1404 ganz in Gold und Schmelz gearbeitet, stellt den König mit Gefolge und seinem »Ross « kniend vor der Maria dar. In Lüttich die massiv goldene Figur Karls des Kühnen mit seinem Begleiter, ein Sühnegeschenk für eine 1468 verübte Niederschlagung von Geistlichen.

Von sonstigem kirchlichen Gerät im Besitz des Kunstgewerbe-Museums ist noch zu erwähnen die Kuss-Tafel, für welche Pius II. dem Münster zu Basel das „Agnus Dei“ gewidmet hatte als Erinnerung an seine Teilnahme am dortigen Konzil im Jahre 1460, eine Basler Arbeit von mäßiger Feinheit. Die Rückseite zeigt in Gravierung den Papst kniend mit ausführlicher Inschrift.

Mantelschließe von Reinecke vam Dressche
Mantelschließe von Reinecke vam Dressche, Minden 1484. 0,14 Durchm.

Die Wärmkugel im Schatz von Enger, für die Hände des Geistlichen bestimmt, ist ein hervorragendes Stück von gravierter Arbeit aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Ersten Ranges ist ein Hostienlöffel mit einem Griff aus Achat aus derselben Zeit. Zur Kleidung des Geistlichen gehört die große Schließe, welche den Mantel zusammenhält, das Monile. Die Schließe von Minden, zeigt auf der Vorderseite reiche Architektur mit drei Nischen, enthaltend Figuren von Heiligen.

Die Stilrichtungen können variieren und sich mischen

Hostienlöffel
Hostienlöffel. 0,15 hoch.

Sie ist bezeichnet: »Reinecke vam Dressche gholtsmed Mindensis 1484.« eine kleinere Schließe aus Brandenburg. —Die Schließe im Schatz zu Enger enthält im Vierpass die heilige Anna mit der Jungfrau und dem Kind, bemerkenswert durch die alte Bemalung. Die gotischen Formen erhalten sich im kirchlichen Gerät über die Zeit der gotischen Architektur hinaus. In Deutschland ist diese Erscheinung weniger auffällig, da mit den Kunstformen der Renaissance zugleich die Reformation einsetzt, welche das kirchliche Gerät nicht weiterbildet. Ganz vereinzelte Versuche dazu im früheren Domschatz in Mainz. Als man daher in den katholisch verbliebenen Teilen Deutschlands in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wieder beginnt, Kirchengerät herzustellen, lehnen sich die Goldschmiede in vielen Fällen direkt an die Typen der Voreltern an. Sämtliche Monstranzen des Schatzes der S. Michael Hofkirche in München, deren gemaltes Inventar erhalten ist, haben gotischen Aufbau mit Ornamenten aus der Zeit von 1570-1590, ein sehr schöner Kelch mit Weinreben von 1575, Kelche in Riga von 1587 und 1622 vollständig gotisch, nur mit der für das Abendmahl der Gemeinde vergrößerten Kuppa. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts geht das kirchliche Silber völlig in die Spätrenaissanceformen über. Weit merkwürdiger ist aber die Erhaltung gotischer Formen in der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts.

Kußtafel des Papstes Pius II
Kußtafel des Papstes Pius II, aus Basel  1460.  0,60 hoch.

Im Schatz des Santo zu Padua sind die Grundformen der Geräte trotz liebevoll ausgebildeten Renaissance-Ornaments durchweg gotisch. Beispiele italienischer Spätgotik sind im Kunstgewerbe-Museum die Kelche von Goldschmieden aus Siena, von denen der eine bezeichnet ist »Mateo Mini Pagliai«. Die eingefügten Schmelzbilder sind auf Silberrelief gearbeitet. Die Kelche gehörten ebenso wie das danebenstehende Kreuz zu den berühmten Schmelzarbeiten von Siena, von denen der Altar im Dome zu Orvieto 1337 von ligolino di Maestro Vieri die bekannteste ist. Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts sind in Italien die Kirchengeräte vollständig in Renaissanceformen übergegangen.

Mittelalterliche Arbeiten für weltliche Zwecke in Edelmetall gehören zu den Seltenheiten unserer Sammlungen. Aus romanischer Zeit sind, abgesehen von Waffen und einzelnen Schmuckstücken, weltliche Geräte kaum vorhanden und waren auch wohl in viel geringerer Zahl angefertigt als kirchliche. Aus dem 13. Jahrhundert hat sich in Deutschland wenigstens ein sehr hervorragendes Stück erhalten, der sogenannte Kaiserbecher von Osnabrück. Der Schaft des Fußes und die Figur auf der Spitze sind Zutaten des 16. Jahrhunderts. Der Becher ist auf einen sechs-teiligen Fuß aufgebaut und hatte wohl ursprünglich einen Schaft von annähernd gleicher Höhe. Wie der jetzige, der untere Ansatz zeigt noch, dass derselbe in frühgotischen Architekturformen ausgeführt war.

Kelch von 1575
Kelch von 1575. 0,24 hoch

In der Mitte des Schaftes ist ein flach gehaltener sechs-teiliger Knauf anzunehmen. Völlig erhalten sind Schale und Deckel. Auf der Schale sind in zwölf Rundbildern Tugenden und Laster paarweise gegenübergestellt in bewegter und reiner Zeichnung. Sehr auffallend sind die Darstellungen des Deckels, Rundfelder mit Einzelfiguren, welche direkt auf die römische Antike zurückgehen und wahrscheinlich geschnittenen Steinen entlehnt sind. In den Zwickeln stehen zweimal zwölf tanzende und musizierende kleine Figuren, in denen man ebenfalls antiken Einfluss vermuten möchte. Daneben tragen die Füllungen der Zwickel, in Grubenschmelz ausgeführt, noch romanischen Charakter. Die sitzende Figur eines Kaisers, ursprünglich wohl auf dem Deckel, ist jetzt im Innern angebracht. Die Herkunft dieses in Form und Einzelheiten ganz einzig dastehenden Bechers ist leider nicht zu ermitteln. In der Periode der entwickelten Gotik erstarkt das weltliche Element in der Kunst. Die Fürstengeschlechter haben ihren Besitz erweitert und befestigt, vor allem aber erwächst in den aufblühenden Städten ein reiches und mächtiges Element, welches Gemeinwesen und Haus reich und behaglich zu schmücken trachtet. Diese eigentümliche bürgerliche Entwicklung des 15. Jahrhunderts, auf welcher die Mehrzahl des noch erhaltenen Besitzes an deutschen Goldschmiedearbeiten beruht, ist aber nicht an die Kunstform der Gotik gebunden, sondern kommt gerade in der Renaissancekunst des 16. Jahrhunderts zu vollem Glanz. Wir werden daher die Zweckbestimmung der uns erhaltenen weltlichen spätgotischen Silberarbeiten und die hieraus sich ergebenden Eigentümlichkeiten derselben im Zusammenhang mit dem Renaissance-Gerät desselben Gebietes zu besprechen haben.

Kaiserpokal von Osnabrück. XIII Jahrh. 0,41 hoch.
Kaiserpokal von Osnabrück. XIII Jahrh.

 

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